Die Grimmwelt Kassel ist ein vielschichtiger Ort, an dem wie in deutschen Volksmärchen Schönes und Schreckliches nah beieinander liegen. Ganz ungebrochen kann man die Sprachwissenschaftler und Volkskundler Jacob und Wilhelm Grimm heute eigentlich nicht mehr würdigen, weil sich insbesondere in ihren Tagebüchern und Briefen antisemitische Aussagen finden. Ambivalente Gefühle löst auch der Standort aus: Das 2015 eröffnete Haus steht auf dem innerstädtischen Weinberg, auf den Ruinen der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Henschel-Villa. Das Unternehmen Henschel & Sohn baute in beiden Weltkriegen Lokomotiven und Rüstungsgüter, war ein wichtiger Lieferant für das NS-Regime.

Die Grimmwelt Kassel versteht sich explizit nicht als Museum, sondern als Ausstellungshaus oder begehbare Skulptur. Die Besucher*innen können sich in ihm verirren wie im Labyrinth der deutschen Sprache, das Jacob und Wilhelm Grimm mit ihrem Wörterbuch leichter „begehbar machen“ wollten.
In der Grimmwelt sind neben der Künstlerin Jumana Emil Abboud, die sich in ihrer Arbeit auf traditionelle und zeitgenössische Narrative zum Thema Wasser und Wasserquellen bezieht, das Kollektiv Alice Yard sowie der Künstler Agus Nur Amal PMTOH vertreten. Der professionelle Geschichtenerzähler aus Indonesien präsentiert hier Videos und Installationen, die er mithilfe alltäglicher Fundstücke hergestellt hat. Diese Objekte spiegeln seine Praxis als Geschichtenerzähler wider und werden zusätzlich durch musikalische Darbietungen, die auf sundanesischen Lebensprizipien beruhen, untermalt. An diesem und sieben weiteren Ausstellungsorten stellt Hamja Ahsan Reklameschilder für Imbisse auf, die Halal Fried Chicken anbieten. Die Schilder bilden ein Netz aus Verweisen auf islamische Geschichte, diasporische Fast-Food-Kultur und koloniale Vergangenheit.

Text: offizielle Seite der documenta fifteen (https://documenta-fifteen.de/ausstellungsorte/)

Fotos: Hans Jürgen Groß