Das Museum Fridericianum ist eng verflochten mit der Entwicklung der europäischen Idee des Museums, mit Repräsentation und Aufklärung. Es wurde 1779 eröffnet, um die landgräflichen Sammlungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Damals begann die Überführung fürstlicher Sammlungen in öffentlichen Besitz; das Bürgertum nahm sich der Kunst als Medium der Reflexion, aber auch der Repräsentation und der Deutungshoheit an. Diverse Umbauten und Nutzungen folgten. Erst in der Nachkriegszeit wurde daraus ein reiner Ausstellungsort. Die erste Ausgabe der documenta im Jahr 1955 beschränkte sich noch ganz auf das Museum Fridericianum. Seitdem stand der Bau immer wieder im Mittelpunkt der Ausstellungsreihe, da hier häufig der Kerngedanke der jeweiligen Ausgabe exemplarisch formuliert wurde.
ruangrupa und die Künstler*innen, die das Fridericianum besetzen, sehen das Gebäude als lumbung. lumbung ist eine Praxis des Teilens, aber auch eine Form der Architektur, ein Gebäude, in dem normalerweise die Ernte gelagert wird. Außerdem ist es Wohnraum und Treffpunkt für alle. Das ehemalige Ausstellungsgebäude hat mit
Fridskul (Fridericianum als Schule) einen neuen Namen erhalten. Die Künstler*innen und Kollektive präsentieren unter diesem Titel die verschiedenen Möglichkeiten und Modelle einer horizontal ausgerichteten Bildung. Dazu treffen sich die Kollektive in regelmäßigen Abständen und entscheiden gemeinsam über die Nutzung der Rotunde, die auch als Fridskul-Bibliothek dient. Gastgeber*in für das engagierte Programm ist das Kollektiv
Gudskul aus Indonesien, zu dessen Gründungsmitgliedern ruangrupa gehört. Gudskul veranstaltet Workshops und Seminare, Treffen zum Wissensaustausch und Karaoke-Abende mit anderen Kollektiven. Im Erdgeschoss des Gebäudes ist ein Schlafsaal und eine Küche eingerichtet. Im Fridericianum arbeitet außerdem
OFF-Biennale Budapest an einem transnationalen Roma-Museum, genannt „RomaMoMA”.
Im Erdgeschoss befinden sich auch die
RURUKIDS: eine 2010 von ruangrupa gegründete Initiative, die die Arbeit von Künstler*innen mit Kindern und Jugendlichen ermöglicht. Eine sich kontinuierlich entwickelnde Installation umfasst Gemälde und Zeichnungen, die das Atelier von
Project Art Works in Hastings, Großbritannien, nachbilden.
Dan Perjovschi präsentiert Zeichnungen zu den
lumbung-Werten auf den Säulen des Eingangsportals. Einen großen Schwerpunkt im Fridericianum bilden Archive, wie
The Black Archives,
Asia Art Archive und
Archives des luttes des femmes en Algérie. Sie zeigen, was die Praxis der Archivierung bewirken kann, wenn sie mit Protest und Gemeinschaft verknüpft wird.
Text: offizielle Seite der documenta fifteen (
https://documenta-fifteen.de/ausstellungsorte/)
Fotos: Hans Jürgen Groß